Worum geht es?
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte Ende Juni 2023 mitgeteilt, dass es plane, die Betreuung für junge Menschen unter 25 Jahren, die selbst oder über ihre Eltern Bürgergeld beziehen, nicht mehr von Jobcentern übernehmen zu lassen, sondern die Agenturen für Arbeit damit zu beauftragen. Beginn des Projekts soll 2025 sein. Das BMAS geht davon aus, dass bis dahin auch die Kindergrundsicherung eingeführt ist.
Im Ergebnis würde das bedeuten, dass die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung nun die bislang aus Steuermitteln in den Jobcentern finanzierten Aufgaben übernehmen muss. Sollte sich der Plan realisieren lassen, würde der Bundeshaushalt um jährlich rund 900 Millionen Euro entlastet werden. Es käme ganz im Sinne des Finanzministers Hubertus Heil zu einem Zuständigkeitswechsel und es würden Gelder gespart.
Konkret geht es um keinen vollständigen Wechsel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es soll allein die „Beratung zu Integration und die Vermittlung der jungen Menschen“ von den Agenturen übernommen werden. Der Rest soll weiterhin bei den Jobcentern bleiben. Betroffen von den Plänen wären rund 700 000 Jugendliche und junge Erwachsene.
Kritik am Vorhaben wird breiter und lauter
Die Kritik an dem Vorhaben formiert sich langsam und wird immer größer. Die Arbeitsgemeinschaft Bielefelder Beschäftigungsinitiativen e.V. schreibt in einer Stellungnahme: „In der gesamten Fachöffentlichkeit gibt es bislang keine einzige positive Stellungnahme zu den Plänen, hingegen aus allen fachlichen Ebenen und vielen Orten ausschließlich massive Besorgnis und Kritik. (…) Hierzu haben sich u.a. Deutscher Städtetag und Landkreistag, Vertreterinnen und Vertreter der SGB II aufsichtführenden Länder und der kommunalen Spitzenverbände im Bund-Länder-Ausschuss nach § 18c SGB II, das Bundesnetzwerk der Jobcenter, das Bundesnetzwerk der Gleichstellungsbeauftragten in Jobcentern, der Main-Kinzig-Kreis, die Landesarbeitsgemeinschaft der Jobcenter Niedersachsen-Bremen, das Land SachsenAnhalt, der Landkreistag Baden-Württemberg, das Wuppertaler Bündnis, die Jobcenter Personalräte sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits ausführlich geäußert“.
Als zentrale Kritikpunkte wurden genannt:
„· Die ganzheitliche Betreuung ist nicht mehr gewährleistet. Der Anspruch, alle Jugendlichen verbindlich zu erreichen, wird aufgegeben.
· Die Übertragung ist weder rechtlich noch finanziell abgesichert. Die BA hat das Personal nicht, die rechtlichen Grundlagen für eine Absicherung der notwendigen Instrumente sowie die finanziellen Grundlagen für die Finanzierung des Mehrbedarfes an Personal und Instrumenten fehlen ebenso. Wichtige Elemente der Hilfen für die Zielgruppe werden substanzlos (z.B. §16h SGB II, individuelle Leistungen für schwer zu erreichende Jugendliche).
· Die Bürgergeldreform wird regelrecht grundsätzlich konterkariert.
· Statt einer Vereinfachung wird die Inanspruchnahme von aktiven und passiven Leistungen für junge Menschen verkompliziert. Es entstehen zusätzliche Schnittstellenproblematiken.
· Die wichtige Verzahnung mit kommunalen Leistungen und Akteuren ist massiv gefährdet (im Gegensatz zu einer vorgeblichen „Bündelung“)
· Grundsätzlich: Die weitreichenden negativen Folgen einer solchen Übertragung wurden nicht bedacht.“
Das Bundesnetzwerk Jobcenter hat sich im Juli 2023 mit „Erste Bewertungen des Bundesnetzwerks zu den geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das SGB II sowie zur Aufgabenverlagerung der Jugendlichen unter 25 Jahren“ Stellung bezogen. Und dort spricht die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Gemeinsamen Einrichtungen gem. § 44b SGB II und kommunaler Jobcenter“ von einem „radikalen Systemwechsel“, der „weitreichende gesellschaftliche, organisatorische und personelle Folgen haben“ werde.
Und weiter: »Die Herausnahme des Personenkreises der Jugendlichen aus dem SGB II durchbricht die absolut sinnvolle ganzheitliche Betreuung der Bedarfsgemeinschaften und der Familien durch die Jobcenter vor Ort, die gerade mit dem Bürgergeldgesetz erst erfolgte Akzentuierung des Beratungs- und Betreuungsauftrages der Jobcenter und nicht zuletzt die auf die Jugendlichen zugeschnittenen Instrumente, wie zum Beispiel § 16h SGB II (Förderung schwer zu erreichende junger Menschen) und § 16k SGB II (ganzheitliche Betreuung). Dies gilt insbesondere für besondere Personengruppen unter den Jugendlichen mit spezifischem Beratungsbedarf, wie beispielsweise zugewanderte junge Menschen, Schulabbrecher, Wohnungslose etc.«
»Darüber hinaus werden die vielfältigen flächendeckenden ganzheitlichen Beratungsstrukturen in den Jugendberufsagenturen sowie die vor Ort bestehenden Kooperationsformen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit massiv gefährdet. Die Jobcenter sind in vielfältiger Art und Weise regional eng vernetzt. Insbesondere die Verzahnung der kommunalen sozialintegrativen Eingliederungsleistungen wie die Schuldner- und Suchtberatung mit den arbeitsmarktpolitischen Eingliederungsleistungen sind ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor in der Integrationsarbeit mit den jungen Menschen.«
Die Jobcenterpersonalräte haben sich ebenfalls am 7. Juli 2023 mit dem Schreiben „Verlagerung der Zuständigkeit für die Beratung zu Integration und Vermittlung der unter 25-Jährigen von den Jobcentern in die Bundesagentur für Arbeit“ an den Bundesarbeitsminister Heil gewandt. Darin heißt es: »Wirklich arbeitsmarkt- und sozialpolitisch Sinn macht dieser rein haushaltspolitisch motivierte Taschenspielertrick nicht. Auch und gerade bei den unter 25-Jährigen ging und geht es in der Beratung nicht einfach „nur“ um Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit. Vielmehr ist eine vielfältige soziale Beratung bis hin zu Fallmanagement gefragt.
Psychische Probleme, Sucht, Schulden, Probleme mit den Eltern und Vieles mehr stehen einer schnellen und erfolgreichen Vermittlung in Berufsausbildung, bedarfsdeckende Arbeit oder zumindest strukturgebende Marktersatzmaßnahmen oftmals entgegen. Die Jobcenter haben in den letzten fast 18 Jahren eine entsprechende Beratungskompetenz aufgebaut, sind mit ihrer sozialraumorientierten Arbeit etabliert und respektiert und stellen auch in den Jugendberufsagenturen die treibende Kraft und die tragende Säule dar.
Die Bundesagentur für Arbeit verfügt hingegen nicht über die entsprechenden Erfahrungen, Netzwerke und Strukturen und ist in der Fläche im Übrigen auch längst nicht so präsent. Die Zuständigkeit jetzt zu verlagern, wird zu einem Bruch in der Betreuung der jungen Menschen und zu einem Verlust an Beratungsqualität führen.
Die zusätzliche Schnittstelle wird zudem Reibungsverluste in der Bearbeitung und Beratung der finanziellen Bürgergeld-Leistungen (inklusive Bildung und Teilhabe) mit sich bringen, die nach wie vor von den Jobcentern erbracht werden. Für die betroffenen Menschen bedeutet das zusätzliche nervliche und bürokratische Belastungen bei schlechterer Dienstleistung. Und das konterkariert die mit dem Bürgergeld gerade erst auf den Weg gebrachten Reformen (Stärkung der Ausbildung und Weiterbildung, Wegfall des Vermittlungsvorrangs, Kooperationsplan, Aufwertung der Sozialberatung, ganzheitliche Betreuung und Coaching, etc.).“
Die WALI als Arbeitsloseninitiative schließt sich den Analysen von Professor Stefan Sell an, die er auf seinem Blog unter dem Titel „Beim Jobcenter raus, bei der Arbeitsagentur rein? Taschenspielertricks im haushaltspolitischen Verschiebebahnhof. Auf Kosten junger Menschen und mit einer absurden Verkomplizierung komplizierter Strukturen“ veröffentlicht hat.
Den Text kann man unter diesem Link nachlesen: https://aktuelle-sozialpolitik.de/2023/07/20/taschenspielertricks-im-haushaltspolitischen-verschiebebahnhof/
Foto oben: geralt (pixabay)